Der Verrat der Akustik
20.02.2016, Wittenberge, Brandenburg. Audioinstallationen und Performance als Teil des Ministeriums für Miniaturinselforschung und Zukunftserprobung.
#Ländlicher Raum #Strukturwandel #Zukünfte #Imagination #Fluxus
Leitende Fragestellung
Wie können sich künstlerische Interventionen in imaginativ-exkursiven Eingriffen äußern, um festgefahrene Problem (-verständnisse) aufzulockern und Perspektivwechsel anzuregen?
Hintergrund
Perleberg und Wittenberge liegen etwa 12 km voneinander entfernt in der Prignitz, unweit der Grenzen zu Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Die ehemalige Industriestadt Wittenberge, auf halber (Bahn-) Strecke zwischen Berlin und Hamburg, hat heute noch etwa 17.000 Einwohner*nnen und ist umgeben vom Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe. In der flächenmäßig größeren Stadt Perleberg, die derzeit noch Sitz des Landkreises Prignitz ist, leben aktuell ca. 12.000 Menschen. Wie viele andere Städte in Brandenburg sind beide Kommunen von einem tiefgreifenden demographischen, sozialräumlichen und wirtschaftlichen Strukturwandel betroffen, was die Frage nach ihrer „Zukunftsfähigkeit“ gleichermaßen aktuell und existenziell bedeutsam macht (Saskia Hebert).

Mit dem Ziel sich der komplexen Problematik des Strukturwandels sowohl inhaltlich als auch geografisch zu nähern, wurde eine fünftägige Exkursion nach Wittenberge unternommen und in den direkten Austausch mit Bürger*innen vor Ort getreten. Die Feldforschung implizierte Erkundungen und auditive Kartierungen der Stadt und der Umgebung, Interviews mit lokalen Akteur*innen und eine Teilnahme an einer von anderen Externen organisierten Zukunftswerkstatt. Die Beobachtungen zeigten, dass sich nur schwerlich eindeutige Lösungen der, durch den Strukturwandel bedingten, vielschichtigen Probleme herausdestillieren lassen und teils festgefahrene, gegensätzliche Positionen wurden festgestellt. Aus diesen Beobachtungen entwickelte sich ein künstlerisches Vorhaben, dass sich als externes Projekt nicht unmittelbar inhaltlich in bestehende Diskurse einbringt, sondern versuchte neue Rahmenbedinungen dessen Aushandlung zu schaffen, Anwohner*innen und lokale Politik zu inspirieren und zur Einnahme anderer Perspektiven auf Bestehendes einzuladen. Die entstandene Arbeit Der Verrat der Akustik beschreibt einen experimentellen Versuch, mittels akustischer Interventionen im öffentlichen Raum Wittenberges Denkanstöße zu geben, Bestehendes zu hinterfragen und für Irritation zu sorgen. Die Namensgebung ist Magrittes Ölgemälde „La trahison des images“ (1929) entlehnt.
Eingebettet in den größeren Rahmen einer bestehenden Veranstaltung, eines Stadtspaziergangs als informelles Zusammentreffen von Zivilbevölkerung und Politik und gemeinsames Spazierengehen, wurden punktuelle akustische Irritation im Stadtbild von Wittenberge produziert. Durch ein eigens hierfür entwickeltes mobiles Lautsprechersystem wurde an unterschiedlichen, den Teilnehmenden Spaziergänger*innen bekannten, Orten und Wegen eine Veränderung der gewohnten auditiven Wahrnehmung erzeugt. Montiert an einem Fahrrad, das an unterschiedlichen Orten beiläufig abgestellt schien, spielte das Audiosystem beim Vorbeigehen der Spazierenden ortsspezifische Klänge und ortsfremde Irritation ab und lud damit zur Imagination und Reflexion des jeweiligen Raumes ein. Das Audiosystem gab dabei an neuralgischen Stellen jeweils akute und intensiv diskutierte Themen wieder (Autobahnbau, Entfernung von städtischer Begrünung, Verlust an Biodiversität im Naturschutzgebiet). Mit Abschluss des Spaziergangs auf dem zentralen Marktplatz der Stadt entwickelten sich die vorherigen Soundinstallationen zur Performance: Die Spaziergänger*innen wurde durch irritierende, umrundende Fahrradfahrten des Perfomers überrascht, während aus dem mit dem Audiosystem präparierten Fahrrad lautstark Lokalisierungen von Orten und Städten nach falschen Himmelsrichtungen zu vernehmen waren. Der performative Abschluss stellte Bestehendes grundsätzlich in Frage, brachte geografische Begebenheiten durcheinander und lud dazu ein, das Leben und Orte in der Stadt aus einer buchstäblich anderen Richtung zu betrachten. Visuell reproduziert wurde das Format durch Sprühkreide-Markierungen an verschiedenen Orten der Stadt.
© Zetkin Ucar
© Zetkin Ucar
© Saskia Hebert
© Saskia Hebert
© Saskia Hebert
© Saskia Hebert
© Saskia Hebert
© Saskia Hebert